Wilder Wald


Ein neues Buch im Haus. Eine neue Besprechung steht an. Danke erstmal an dieser Stelle an den Matthaes-Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars. Der Titel: Wilder Wald (240 Seiten, 69,90€ Einführungspreis). Klingt nach Natur, Wildnis, Ursprung, auch nach Heimat, Ruhe und Harmonie. Ob sich der erste Eindruck bestätigt, wird sich zeigen. Im Pressetext des Verlages wird das Buch folgendermaßen angekündigt: Küchenpionier Heiko Antoniewicz und Fleischpapst Ludwig Maurer haben sich erneut für ein weiteres großartiges Buchprojekt zusammengetan. In „Wilder Wald“ interpretieren die beiden kreativen Köpfe, was ihnen Wald, Wiese, Bach und See zu bieten haben. Denn für sie spielt die Natur von jeher eine große Rolle. Sie legen größten Wert auf den respektvollen Umgang mit den Ressourcen, egal ob pflanzlicher oder tierischer Natur. Dabei entstehen ganz besondere Gerichte, die man so noch nicht gesehen hat, wie z. B. Rohe Karpfentranche auf Moos mit Wacholder parfümiert oder Hase im Rapsblütenmantel mit wildem Blumenkohl und Meerrettich. Neben exzellenten Gerichten erfährt der Leser viel zu Prozessen und Kochtechniken sowie zu Wild und Wald. Stimmungsvolle Bilder von Volker Debus machen Lust, das Buch zu betrachten und darin zu schwelgen.

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„Wilder Wald“ von Heiko Antoniewicz und Ludwig Maurer

Das Buch ist nach den vier Elementen, Wasser, Erde, Feuer und Luft aufgebaut und folgt der Idee, dass diese Elemente Lebensräume sind, aus denen das zentrale Lebensmittel entsprungen ist. Ein Beispiel: das Gericht „Forelle, Birkenwasserfond, Mispelcreme“ (S. 46/47) steht im Kapitel Wasser und das „Gerstenrisotto, Steinpilze, Löwenzahn“ (S. 142/143) im Kapitel Erde. Im Kapitel Luft finden  sich Geflügel wie Wildente, aber auch Zutaten von (wohl luftig hohen) Bäumen wie Quitten, Eicheln und Pinienkerne auf den Tellern wieder. Die Idee mit der Aufteilung in Lebensräume statt z.B. wie üblich in Jahreszeiten ist nett, aber auch aufgrund fehlendem Zutatenregister etwas unübersichtlich gestaltet – so vermutet man das Gericht „Schwarzer Rettich, Wassermeerrettich, geräucherter Aal“ wohl eher im Kapitel Wasser oder Erde als im Kapitel Luft auf Seite 224/25.  Eine übersichtlichere Aufteilung des Buches in Jahreszeiten würde auch besser zum Vorwort passen, in dem Heiko Antoniewicz erzählt, er habe mit der Zeit gelernt, sich nach den Gezeiten der Natur zu richten und ihre Wachstumszyklen zu lesen (S. 21).

Reh, Raps, Honigkuchen

Heiko Antoniewicz und Ludwig Maurer werden beide im Verlauf des Buches und meines Textes als HA und LM abgekürzt – das übernehme ich im folgenden auch. Für HA ist es sein 11. erschienenes Buch, unter denen mich sein vegetarisches „Green Glamour“ mit seinen vielfältigen Ideen zur Verwendung bekannter und unbekannter Gemüsesorten sehr beeindruckt hat. Aus jedem Gemüse wird sein eigenes Aroma quasi herausgekitzelt und dabei weitestgehend auf tierische Produkte wie Sahne oder Butter verzichtet, die doch als Fett- und damit auch Geschmacksträger den Koch herausfordern, wenn er sie weglässt. Das erklärt auch, warum manche Vertreter der Gemüseküche wie zum Beispiel Köthe & Ollech aus dem Nürnberger „Essigbrätlein“ in ihren Rezepten fast schon verschwenderisch mit Sahne umgehen, dient es m.E. aber wenig dazu den Eigengeschmack von Gemüse zu heben – das machen subtilere Küchen, wie zum Beispiel die japanische, bei der sich HA auch gerne bedient, besser. Der zweite Autor: Ludwig „Lucki“ Maurer. Er verfasste bereits drei Bücher, die sich mit der ganzheitlichen Verarbeitung des Lebensmittels Fleisch beschäftigen und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet. Er arbeitet als Autor und Food Stylist für führende Magazine in der Kulinarikszene. Im „Wilden Wald“ findet sich seine Nose-to-tail-Philosophie in Gerichten wie „Aufbruch“, Reh, Meerrettich (im Buch auf Seite 122/123) wieder, wo ein Rehragout aus Lunge, Herz und Leber serviert wird. Und da kommen wir zu einem Problem des Buches, nämlich das der Konsequenz! Eine konsequente Verschreibung dem Nose-to-tail-Prinzip gegenüber, müsste auch dessen Fortführung in den anderen Rezepten des Buches sein – was es kaum tut. So werden Rehrücken, Hasenrücken, Entenbrüste, Wachtelbrüste, Fasanenbrüste verwendet, also die uns alten bekannten Edelteile. Da hätte LM bei der Auswahl der Fleischcuts gerne mehr „Exotik“ walten lassen können.

Wilder Meerrettich, Hase, Wilder Blumenkohl

Gerichte, die konsequent der Grundidee für dieses Buch folgen, nämlich die Vielfältigkeit des Waldes zu demonstrieren und wert zu schätzen und eine „kulinarische Verbeugung vor der Flora und Fauna des Waldes“ (S. 20) zu sein, gibt es dennoch zuhauf. Da wären die Gerichte mit heimischen Süßwasserfischen wie Zander, Forelle, Huchen und Karpfen. Da wären Gerichte mit Waldpilzen wie Steinpilz, Rotkappe, Birkenpilz, Krause Glucke, Egerling, Pfifferling, Morchel und Kräuterseitling. Da wären die Gerichte mit Wildkräutern wie Gundermann, Rauke, Löwenzahn, Sauerklee, Giersch, Brunnenkresse und Ehrenpreis. Und natürlich die Gerichte mit Hase/Kaninchen, Wildschwein, Reh, Gams, Hirsch, Wildgeflügel und Schnecken. Und in fast jedem Gericht runden Zutaten aus dem Wald das Gericht ab, sei es in Form von Birkenwasser, Waldbeeren, Nadeln diverser Nadelbäume, Eicheln. Das alles spiegelt die von HA und LM eingangs erwähnte Philosophie, die „kulinarische Verbeugung“ vor dem wilden Wald wieder. Was ich mich bei der Lektüre des Buches dann aber gefragt habe, was folgende Gerichte und Zutaten in einem Buch verloren haben, das „die Vielfältigkeit des Waldes demonstrieren“ soll (S. 22), den Lebensraum Wald und dessen Ressourcen als „ursprünglich, gesund und wild“ (S. 19) bezeichnet und der Mensch sich wieder auf dieses „evolutionäre Obdach der Menschheit“ rück besinnen solle (ebd.): das erste (!) Rezept nach dem Vorwort lautet „Süsswasser, Birkenwasser, Brunnenkresse“ (S. 29) und wartet mit einer Vielzahl an Texturas aus der Molekularküche auf, die in meinen Augen so wenig mit natürlicher und ursprünglicher Küche zu tun hat wie kaum eine andere kulinarische Strömung. So werden Algizoon, Calazoon (Biozon), Guarzoon, Xanthazoon, Algin, Meerwassergranulat, Gelatine und Sojalecithin aufgelistet. Eher eine Verbeugung vor Ferran Adria wie vor dem Wald. In weiteren Gerichten werden Fische und Meerestiere verwendet, die ferner dem wilden Wald nicht sein könnten: Steinbutt, Skrei, Hummer, Taschenkrebs, Austern. Zudem greifen HA und LM zu oft auf Zutaten zurück, die die Flora und Fauna des Waldes schwerlich bieten kann, vor allem bei den Dashis aus Bonito (getrockneter Thunfisch), Kombu und Nori (Algen), dazu kommen Limetten, Zitronengras, frischer Wasabi, Silberpulver. Ein „zurück zu den kulinarischen Wurzeln der Menschheit“, wie es im Vorwort propagiert wird, ist das sicher nicht. Dennoch machen diese, ich nenne sie mal inkonsequenten kulinarischen Ausreißer, nur einen kleinen Teil der Rezepte im Buch aus, hinterlassen sie aber einen faden Beigeschmack beim Leser.

Mein Fazit: + viele gute, konsequent zu Ende gedachte Rezepte

+ reich an Ideen und Anregungen

–  teilweise ikonsequente Umsetzung ihrer Philosophie

– kaum Infos zu speziellen und nicht ungefährlichen Zutaten (z.B. Pilze, Wildkräuter)

– fehlendes Zutatenregister (erschwert die Suche ungemein)

– viele vom Design her sehr unruhige Teller, die von den Gerichten ablenken

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2 Gedanken zu “Wilder Wald

  1. Sehe ich ähnlich. Negativ sehe ich auch, dass fast alles sous-vide gegart wird. Man müsste zumindest eine „konventionelle“ Alternative der Zubereitung anbieten. Innovativ ist es auch nicht gerade, wenn bei fast jedem Wildfleisch-Gericht eine (klassische) Soße auf Portwein-Rotwein-Basis dabei ist. Mir fehlen auch Grundrezepte, z.B. für Fichtenhonig, etc. Positiv ist, dass nicht allzuviele handwerkliche Fehler im Buch vorhanden sind (im Vergleich zu Green Glamour oder Fermentation), also Rechtschreibfehler, etc. Sollte aber bei diesem Preis vorausgesetzt werden können.

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    1. Da stimme ich dir zu, Stefan. Das Thema Wald behandeln andere Bücher besser. Da wäre zB „Bäume“ (at Verlag), das deinen erwähnten Fichtenhonig drin hat. Dann wird über mehrere Seiten jeweils ein Baum vorgestellt, Aussehen etc, und dann seine Möglichkeiten der kulinarischen Verwendung (Blätter, Triebe, Früchte, Rinde…). Oder das Buch über Wildpflanzen „So schmecken Wildpflanzen“ (loewenzahn Verlag) mit einer Fülle an Ideen und Anregungen. Oder die „Wilde Küche“ (at Verlag). Auch die Jahreszeiten-Kochbücher bieten mehr. Viele Grüße!

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